· 

Judo - die vergessene Kampfkunst

Ein Judogürtel mit den japanischen Schriftzeichen 'Kodokan Judo'
Ein Judogürtel mit den japanischen Schriftzeichen 'Kodokan Judo'

Judo ist einer der bekanntesten Kampfsportarten der Welt, die sich bei allen Altersgruppen großer Beliebtheit erfreut. 

 

Die einstigen Nahkampftechniken der Samurai wurden nach und nach in eine sichere Sportart transformiert, die durch ein umfassendes Regelwerk relativ gefahrenlose Wettkämpfe erlaubt.

 

Im Heimatland Japan wurde Judo so populär, dass es zum Pflichtfach an allen japanischen Schulen im Schulsport wurde. Judo wurde von seinem Begründer Jigoro Kano als mentales und körperliches Erziehungssystem konzipiert, um Körper und Geist der Judoka optimal zu fördern und zu fordern und soziale Qualitäten auszubilden.

 

Der sportliche Aspekt dominiert den Judosport heute generell und Selbstverteidigung spielt eine eher untergeordnete Rolle, die nur noch im Breitensoprt mittrainiert wird. 

 

 

Doch wie viel Biss hat Judo noch als Kampfkunst zur Selbstverteidigung in einem Kampf ohne Regeln? Dieser Frage möchte ich hier nachgehen.

 

Anstatt nur eine asiatische Kampfsportart zu sein, die aus dem internationalen Leistungssportgeschehen nicht mehr wegzudenken ist, hat die Kampfkunst Judo noch so viel mehr zu bieten, als Sie in einem durchschnittlichen Judoverein, den es in fast jeder Stadt gibt, lernen können.

 

Neben den bekannten Wurftechniken (Techniken, um den Gegner zu Fall zu bringen) und Grifftechniken (Techniken, um den Gegner festzuhalten, ihm Knochen zu brechen oder ihn bewusstlos zu würgen) existieren noch weitere Grifftechniken wie Finger-, Hand-, Fuß-, Bein- und Genickhebel und noch ein paar andere Wurftechniken, die für den sportlichen Wettkampf zu riskant sind. Dazu kommen judoeigene (!) Schlag- und Tritttechniken, die ebenfalls im Judowettkampf auch verboten sind. Sogar mit Waffen, wie Schwert und Stock, wurde in den Pioniertagen des Judo trainiert. Um diese gefährlichen Techniken gefahrlos üben zu können, entwickelte Gründer Professor Jigoro Kano Kata (Vorführform mit festen Bewegungsabläufen), um diese Techniken auch der Nachwelt zu erhalten sowie andere wichtige Prinzipien des Judo risikoarm darstellen zu können. Das Kodokan Judo verfügt ebenfalls über körperliches Aufwärmprogramm und ein System mit Erste-Hilfe-Techniken (Kuatsu). 

 

Das Kodokan Judo entwickelte sich vor allem aus zwei Stilen des Jiu Jitsu, die Nahkampftechniken für die damaligen auf dem Schlachtfeld vermittelten - also den Kampf um Leben und Tod. Der erste Stil war das Tenjin Shinyo Ryu Jiu Jitsu, wovon Sie sich im folgenden Video einen Eindruck verschaffen können:

 

 

Der zweite, wichtige Stil war das Kito Ryu Jiu Jitsu, das die Grundlage für viele sehr fortgeschrittene Selbstfallwurftechniken schuf. Gründer Jigoro Kano und sein fortgeschrittenster Schüler Yamashita, der erste Judoka, dem der 10. Dan verliehen wurde (höchstmögliche Graduierung im Judo), demonstrieren im folgenden Video die Kito Ryu no Kata, die Bewegungsform des Kito Jiu Jitsu. Diese Kata ist Pflicht für alle Judoka bei ihrer letzten technischen Überprüfung, bevor sie weitere Graduierungen nur noch ehrenhalber verliehen bekommen. Die Kito Ryu no Kata führt den Judoka wieder zur Quelle des Judo zurück.

 

 

Um das in den 1880er Jahren neu geschaffene Judo zu promoten, gab es für Kano nur den einen Weg, sich bei Herausforderungswettkämpfen gegen andere japanische Jiu Jitsu Schulen immer wieder erfolgreich zu behaupten. Schwerverletzte und hin und wieder ein Toten waren damals bei Herausforderungskämpfen nichts Unübliches. Schon das Training im Kodokan-Tempel war sehr hart und von regelmäßigen Verletzungen wie Knochenbrüchen begleitet. Bei einem ernsten Kampf ohne Regeln betonte Kano, dass seine Schüler gute Fähigkeiten im Schlagen und Treten entwickeln sollten, um in der langen und mittleren Kampfdistanz voll verteidigungsfähig zu sein, bevor sie dann im Infight und am Boden ihre größten Stärken voll ausspielen können. Kano verlangte auch, dass seine Schüler im Ernstfall mit Waffen umgehen konnten. Als spezielle Maßnahme schickte Kano seine Schützlinge auch zum Aikido-Unterricht, weil dort mit Stöcken und Schwertern trainiert wurde und die häufigen runden und fließenden Bewegungen des Aikido zuträglich für ein flüssiges Judo sind. 

 

 

 

Der Einfluss des Aikido auf das Judo zeigt sich am besten in der Goshin Jitsu no Kata, die eine ganze Reike von Techniken des Tomiki Aikido, einer vereinfachten Aikido-Variante, enthält.

 

Im folgendes Video zeigt Meister Mifune, 10. Dan, der wohl beste Techniker des Judo aller Zeiten, Beinhebeltechniken, die heute zwar im Judo-Wettkampf verboten sind, aber heute im Brazilian Jiu Jitsu immer noch unterrichtet und auch im BJJ-Wettkampf verwendet werden dürfen: 

 

 

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam Judo, was vielerorts noch als Jiu Jitsu bezeichnet wurde, in Europa und auch auf anderen Kontinenten der Erde an. In den 20er Jahren waren in vielen internationalen Großstädten (in der Regel) japanische Judolehrer erfolgreich dabei, Judo im bereisten Land zu verbreiten. So gingen beispielsweise Meister Kotani nach London, Meister Kawaishi nach Paris oder Bodenkampfexperte Meister Maeda nach Rio de Janeiro. Die äußerst erfolgreichen Bemühungen des Letzteren legte den Grundstein für die Kampfkunst, die wir heute als Brazilian Jiu Jitsu (BJJ) kennen.

 

Das BJJ scheute bis heute nicht den Vergleich mit anderen Stilen. Ein BJJ-Wettkampf kann auch nur durch Aufgabe oder einem tatsächlichen KO (Tap out or pass out) gewonnen werden. Daher halte ich das BJJ grundsätzlich für das realistischere Judo für den Ernstfall. Ein großes Problem sehe ich, wenn im Ernstfall die hohe Bodenkampfaffinität beibehalten wird und mehr als ein Gegner ins Spiel kommt.   

 

Die Pioniere des Judo in Europa und dem Rest der Welt sahen sich oft Herausforderern anderer Kampfkünste gegenüber oder suchten sogar häufig die Herausforderung, um ihr Können im Judo mit anderen Systemen zu vergleichen. Das zusätzliche Selbstverteidigungstraining zum sportlichen Kampf blieb bis Ende der Sechzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts ein fester Bestandteil des Judotrainings. Hier wieder ein kleiner Videoausschnitt mit Meister Mifune bei der modernen Judo-Selbstverteidigung (Goshin Jitsu):

 

 

Aber auch das Militär und die Polizei wurden auf Judo bzw. Jiu Jitsu früh aufmerksam. Heute gibt es wohl keine polizeiliche oder militärische Grundausbildung ohne Nahkampftechniken, die auch aus dem Judo stammen. Die US Army hat Brazilian Jiu Jitsu als Pflichtfach eingeführt. Bei den russischen Streitkräften steht Sambo hoch im Kurs, das hauptsächlich aus Judo-Techniken entwickelt wurde. Das Kampfsystem Krav Maga wurde in Israel für Israel ebenfalls mit vielen Judo-Techniken in einer zivilen und militärischen Variante von Begründer Lichtenstein entwickelt, der selbst verschiedene Kampfkünste studiert hatte. Die Anwendbarkeit für den Ernstfall blieb für das Judo also immer parallel zum internationalen Wettkampfsport erhalten, der nach dem ersten olympischen Auftritt 1964 immer mehr das Judo-Training zu dominieren begann. Mittlerweile kann das Wahlfach Selbstverteidigung bei Gürtelprüfungen des Deutschen Judobundes (DJB) wieder in Anspruch genommen werden und man bemüht sich jetzt auch um mehr Realitätsbezogenheit. Ich erinnere mich noch an eine realitätsfremde Aussage meines ersten Judolehrers von vor 28 Jahren: "Einfach den Gegner umrennen und werfen...und am Boden weisst Ihr ja, wie's weiter geht." Wir wussten es damals nicht besser. In einem meiner vorherigen Blogbeiträge gehe ich in einem Absatz auf das Thema 'Bodenkampf in einer Ernstfallsituation genauer ein und habe meine Argumentation mit einem entsprechenden Straßenkampfvideo unterlegt, das eine sehr deutliche Sprache spricht.

 

Wie Judo gepaart mit Schlägen und Tritten in einem stiloffenen Wettkampf mit wenig Regeln erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigt die international erfolgreiche Judoka Ronda Rousey (4. Dan) aus den USA, die eine sehr erfolgreiche Karriere bei Mixed Martial Arts Kämpfen begonnen hat. In den 90ern leuteten die Gracie Family mit ihrem Gracie Jiu Jitsu (= Urform des Brazilian Jiu Jitsu) und den Ultimate Fighting Championships den neuen Megatrend der Kampfsportszene Freefight / Mixed Martial Arts ein, der sich mittlerweile zu einer eigenständigen Kampfsportart entwickelt hat. Es entstand bei vielen bodenkampfunkundigen Kampfsportlern ein regelrechter Bodenkampf-Boom. 

 

 

Judo, das im sportlichen Wettkampf gegen andere Kampfsportarten bestehen will oder gar im Ernstfall einer Selbstverteidugungssituation gerecht werden will, muss ganz anders trainiert werden als der reguläre sportliche Judowettkampf. wer Judo wirklich in all seinen Facetten erlernen möchte, muss leider oft lange suchen. Lehrer, die diesen hohen Anforderungen gerecht werden, gibt es in Deutschland nur wenige. Als die beiden wichtigsten seien Frank Thiele, 9. Dan, und sein Meisterschüler Tom Herold, 8. Dan, genannt. Beide Lehrer haben sich zum Ziel gesetzt, Judo wieder die Durchsetzungsfähigkeit zurück zu geben, die eine realitätsbezogene Kampfkunst von einer Kampfsportart (wegen der Regeln = Sport) unterscheidet. Beide haben das nötige Wissen und Können, was heute vielen oft hoch graduierten Judolehrern leider fehlt, die sich größtenteils nur mit dem Wettkampfsport auseinander gesetzt haben. Tom schreibt einen sehr interessanten Blog, den ich nur jedem interessierten Kampfsportler und Kampfkünstler empfehlen kann.

 

 



Kommentar schreiben

Kommentare: 0