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Letzte Hilfe - Plädoyer für ein Sterben in Würde

Spiegel-Ausgabe # 6 / 2014
Spiegel-Ausgabe # 6 / 2014

Das Thema Sterbehilfe geht wieder vermehrt durch die Presse. In der KW 6 brachte DER SPIEGEL dazu eine Titelstory heraus, die ich zur Grundlage zu diesem Blogartikel gemacht habe.

 

Auslöser dieser Titelstory waren mehrere Äußerungen von Prominenten und Politikern in letzter Zeit, die dieses heikele Thema wieder haben aufflammen lassen. Es geht hier nicht nur um persönliche Selbstbestimmung über das eigene Leben oder nur ethische Fragen, sondern ganz sicherlich auch um sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen, die zwar nur in wenigen Zeilen erwähnt werden, aber eine umso höhrere Brisant haben.

 

Dieses Thema wird öffentlich in den Leitmedien kontrovers diskutiert und verbreitet. Man scheut diesmal auch keinerlei Tabubruch mehr.

 

Wie stehen Sie zu diesem sehr persönlichen Thema?

Im vergangenen Jahr hatte ich bereits einen Blogartikel über Sterbehilfe hier veröffentlicht. Das Thema kommt ja immer mal wieder auf. Kein Wunder, denn bevor Sie sich selbst in reifen Jahren mit diesem Thema auseinander setzen, wird Ihnen dieses Thema bei älteren, meist geliebten, Menschen oft sehr schmerzlich vor Augen geführt, wenn Ihre Großeltern und Eltern in ihre finale Lebensphase eintreten oder schwer krank und pflegebedürftig werden.

 

Diesmal hat die öffentliche Diskussion aber einen Punkt erreicht, wo auf einmal die aktive Sterbehilfe durch den Arzt ins Licht gerückt wird. Die passive Sterbehilfe und eine gut entwickelte Palliativmedizin sind schon gängige Praxis in Deutschland; auch wenn sich Ärzte dabei schnell in eine Grauzone begeben können, wenn Sie im stillschweigendem Einvernehmen mit Angehörigen beispielsweise eine Opiat höher dosieren und dabei den Tod des Patienten bewusst in Kauf nehmen. Ob solche Ärzte straffrei ausgehen sollen oder nicht, wird ebenfalls heiß diskutiert. In der Praxis kamen solche Mediziner bislang glimpflich davon. 

 

 

Die Patientenverfügung hat sich als gutes Mittel durchgesetzt, um im Falle schwerer Krankheit oder Pflegebedürftigkeit klare Verhältnisse zu schaffen, wann wie lange das Leben eines nicht mehr ansprechbaren Patienten künstlich aufrecht erhalten werden soll, ohne die Angehörigen vor die schwere Entscheidung stellen zu müssen, ob lebenserhaltende Maßnahmen aufrecht erhalten werden sollen oder nicht.

 

Wichtig ist nur, dass möglichst viele Menschen solch eine Willensbekundung schon möglichst frühzeitig aufsetzen, denn schwerke Unfälle und Krankheiten nehmen keine Rücksicht auf Ihr Alter.

 

Nun sind aber öffentlich Stimmen laut geworden, die offen fordern, dass ein Arzt eine Tötung auf Verlangen des Patienten legal und standardisiert durchführen darf. In Belgien ist dies beispielsweise schon legal. Durch die Medien allerdings bekannter sind private Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas, die eine Art Sterbetourismus geschäftsfähig gemacht haben für Leute, die in ihrem Land auf keine finale Hilfe hoffen können. Diesen Service nehmen nicht nur todkranke Menschen in Anspruch, sondern auch Ehepartner solcher Patienten oder gesunde Menschen, die einfach meinen, dass es ihnen jetzt mit dem Leben reicht, wie eine 99-jährige Dame, deren Geschichte ebenfalls durch die Medien ging.

 

Zweifelsohne ist jeder Mensch für sein Leben selbst voll verantwortlich. Dazu gehört auch, selbst zu bestimmen, ob dieser Mensch noch leben möchte oder nicht, ohne juristisch von Strafen bedroht zu sein. Und sicher ist auch, dass jeder, der wirklich sterben will, dies auch irgendwann umsetzen wird.

 

Ethisch fraglich ist sicherlich die Kommerzialisierung solch einer Dienstleistung und die Entbindung von Ärzten von ihrem hipokartischen Eid. Im SPIEGEL-Artikel fiel der Begriff 'Facharzt für's Sterben'.  

 

Wenn ein Mensch seinen Sterbewunsch äußert, ist es in den meisten Fällen ein Hilfeschrei - oft mehr aus Einsamkeit als aus Angst oder einem schlechten Gewissen, seinen Mitmenschen nur noch eine Last zu sein. Menschen, die sterben wollen, können zu einem späteren Zeitpunkt eine persönliche Erfahrung machen, die ihnen wieder Lebensmut gibt. 

 

Daran, wo es in unserer (Leistungs-)Gesellschaft besonders mangelt, ist der menschliche Zusammenhalt und die menschliche Wärme. So, plus eine gute medizinesche Versorgung, die JEDEM (!) zugänglich sein muss, lassen sich auch schwere Zeiten besser und menschlicher erleben und nicht nur ertragen. Es ist ein Erlebnis und eine Lebenserfahrung, die nach beiden Seiten wirkt: auf den Patient als auch auf die Pflegenden, die eines Tages wahrscheinlich auch mal in dieser finalen Situation stecken werden und liebevoll begleitet werden möchten. Oder möchten Sie lieber einsam sterben? 

 

Zum (irdischen) Leben gehört die Geburt (Anfang) und der Tod (Ende). Beide Lebensprozesse sollten bewusst wahrgenommen und erlebt werden. Zum Leben gehört nicht nur Freude, sondern auch Leid. Viele Menschen wollen das heutzutage nicht mehr wahr haben.

 

Eine große Problematik in der Umsetzung eines menschenwürdigen Lebensabends stellen die Bürokratie der Krankenkassen und fehlende Geldmittel der Patienten dar: Pflegeheime und Krankenhäuser sind oft unterbesetzt und somit das Personal überfordert. Da werden Patienen schon mal mit Medikamenten ruhig gestellt oder Patienen, die schon klinisch tot sind auf dem Gang 'geparkt', damit der Platz im Krankenzimmer wieder neu vergeben werden kann. Theoretisch wären grundsätzlich alle Einrichtungen vorhanden, um einen Patienten, der bald sterben wird in ein Hospiz zu überführen oder ihm palliative Hilfe zu geben. Aber viele Krankenkassen lehnen eine finanzielle Unterstützung, die einen Hospizaufenthalt oder Palliativmedizin für viele Menschen erst finanziell möglich machen könnte ab, weil die Krankenkasse meint, dass in einem Pflegeheim ausreichend Versorgung bestünde. In solchen Situationen wird aus der ohnehin schon bestehenden Zwei-Klassen-Medizin ein Zwei-Klassen-Sterben. Freie Wahl hat nur eben derjeninge, der genügend Geld hat, um sich die besten Leistungen zu kaufen. Der Rest muss nehmen, was noch ürbrig ist.

 

 

In gewissen Medizinerkreisen gab und gibt es schon seit vielen Jahrzehnten Denkansätze für eine Selbstmordpille, die Menschen in einem unheilbar kranken Stadium viel Leid ersparen soll. Es wird auch wieder offener darüber diskutiert, dass Ärzte Entscheidungen fällen können dürfen, um das Leben von Patienen, deren Situation sie für hoffnungslos halten, zu beenden. Wieder einmal treffen Menschen über andere Menschen die Entscheidung zwischen wertem und unwertem Leben. Schon heute werden alten Menschen Heilbehandlungen und Operationen verweigert (Stichwort Priorisierung). Das ist schon eine Ouverture zu einem sich abzeichnenden, unmenschlichem Drama. Wer sagt, dass ein Leben im Alter nicht erfüllt, lebenswert und erhaltenswert sein kann?

 

Klar ist auch, dass es nach Zulassung solch einer Selbstmordpille auch einen Schwarzmarkt geben wird, den nicht nur Alte und Kranke, sondern beispielsweise auch Langzeitarbeitslose oder Mobbingopfer bedienen werden.

 

Da gibt auch keine Statistik eine Legitimation für solch eine Politik, die angeblich aussagt, dass fast die Hälfte aller Deutschen im hohen Alter und / oder bei totaler Pflegebedürftigkeit sich ihren Freitod gut vorstellen könnten. Hier wird nach meiner Meinung dem deutschen Bürgern hinterhältig und populistisch versucht, ein ganz teuflisches Päckchen unterzujubeln.

 

Jeder, der sich mit dem Dritten Reich befasst hat, wird sofort merken, wohin Deutschland wieder steuert. Gott sei Dank gibt es noch recht starke Strömungen in Gesellschaft und Politik, die bereit sind, die Menschlichkeit nicht aufzugeben.

 

Mein trauriges Fazit: Anstatt "die Kultur des Lebens pflegen", wie es die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Christine Woppen ausdrückte, hat Deutschland aus seiner dunklen Vergangenheit leider nicht wirklich gelernt.

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