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Wurde Budo gespalten, um es zu schwächen?

Ich bin Mitglied in der XING-Gruppe 'Budo 2 Business', die sich um die kreative Umsetzung von Budo-Prinzipien und Philosophie in der Geschäftswelt und zur Managementschulung engagiert.

 

Kurzlich stellte der Gründer und Moderator Alexander Plaschko der Gruppe eine Frage, auf die ich spontan antwortete. Daraus wurde mein heutiger Blogbeitrag. Viel Spaß bei Lesen & diskutieren!

Wollte man Budo durch Spaltung schwächen?

"Hallo lieber Budo-Freund,

 

aus dem römischen Imperium kennen wir „Divide et impera“ zur Herrschaftssicherung.

Man teilt das Volk und verstärkt die Unterschiede: Männer vs. Frau, Linke vs. Rechte, Arm vs. Reich etc.

So richtet sich die Energie des Volkes gegeneinander und nicht gegen die Herrschenden.

Ist Budo (die asiatischen Kampfkünste - speziell die japanischen) auch ein Opfer dieser Politik geworden?

 

Mit Kyudo triffst Du auf Distanz, mit dem Kendo-Schwert im Waffennahkampf, mit Karate/Kung-Fu waffenlos ohne Kontakt, mit Judo und Jiu wirfst Du den Gegner, Aikido lehrt die Essenz des Wurfes und bringt den Übergang zum inneren Weg, Qigong und Tai-Chi legen die energetischen Grundlagen des Kampfes und der ZEN-Buddhismus lehrt die philosophischen Grundlagen. In dieser Kombination wäre der Budoka unglaublich kampfstark. Heute hingegen sind die einzelnen Disziplinen tief gespalten. Was meinst Du?  Wollte man Budo durch Spaltung schwächen oder gibt es andere Gründe?"

 

Alexander Plaschko 

Meine kurze Antwort auf diese Frage lautet "Jein!" Des ist die lange Antwort bzw. dessen Erläuterung:

Judo und Jiu Jitsu arbeiten fast ausschließlich in der Greif- und Bodendistanz.
Judo und Jiu Jitsu arbeiten fast ausschließlich in der Greif- und Bodendistanz.

Jigoro Kano wollte mit seinem Judo ein System schaffen, das relativ gefahrenlos Wettkämpfe ermöglichte und für jedermann zugänglich war. Darum sortierte er die gefährlichen Techniken und Anwendungen aus. Mit dem erlernen der Judophilosophie und der körperlichen Auseinandersetzung im Wettkampf sollte der Schüler eine positive Persönlichkeitsentwicklung durchmachen, was grundsätzlich gut gelang.

 

Am Beispiel Judo möchte ich zeigen, dass man sich hier einen Teilaspekt des Kämpfens - dem Grappling - separat gewidmet und es sportlich spezialisiert hat, um allen, und nicht nur den Soldaten, seinen erzieherischen Wert zugänglich zu machen. Die Fähigkeit, in enem realen Kampf auf Leben und Tod zu bestehen, blieb nur noch angedeutet und in den Köpfen der alten Meister zurück.

 

Judomeister Steve Cunningham, 8. Dan, aus UK erzählt in seinem Video vom Transformationsprozess vieler Kampfkünste in Selbstverteidigungsdisziplinen und Kampfsportarten. Insbesondere geht er auf Judo bzw. Jiu Jitsu ein, inwiefern die heutige Wettkampfsportart ihren Geist als Kriegskunst auf dem Schlachfeld bewahren konnte.

Kendo ist der versportlichte Schwertkampf Japans.
Kendo ist der versportlichte Schwertkampf Japans.

Anders war es nach dem 2. Weltkrieg: Dort wurden in z. B. Japan von den amerikanischen Besatzern gleich alle Kampfkünste verboten. Das war nicht nur teile & Herrsche, sondern gleich vernichte & herrsche. Die Japaner sollten nicht in der Lage sein, Widerstand zu leisten. Was sich dann Jahre später langsam wieder aufrappelte, waren überwiegend versportlichte Budodisziplinen.

 

Allerdings waren die amerikanischen Besatzer auch Nutznießer ihres Asienaufenthaltes. Viele Soldaten kamen dort mit der Kampfkunst in Berührung. Die US Army übernahm viele Grundtechniken in ihre waffenlose Nahkampfausbildung. Bekanntestes Beispiel ist hier wohl Chuck Norris, der heute im Tang Soo Do und Tae Kwon Do den 9. Dan trägt.

 

Einige Budomeister wurden auch (gezielt) getötet oder sie starben eines natürlichen Todes, ohne dass sie ihr volles Wissen & Können weitergeben konnten. Ein sehr gutes Beispiel ist hier das Taiji Chuan, das einst die offizielle Kampfkunst der kaiserlichen Leibwache war. Heute fristet Taiji in China sein Dasein als Gesundheitsübungen für die breite Bevölkerung. Kampfanwendungen werden eher in der westlichen Welt nachgefragt.

Die Energielehre des Budo fußt größtentels auf der Traditionellen Chinesischen Medizin
Die Energielehre des Budo fußt größtentels auf der Traditionellen Chinesischen Medizin
Karate ist spezialisiert auf Schlagen und Treten.
Karate ist spezialisiert auf Schlagen und Treten.

Im Karate ist über viele Jahre zu beobachten, dass beispielsweise in den Katas es immer wieder zu kleineren Änderungen, z. B. in Form von anderer Schlagziele, gekommen ist. Bestimmte Themen wie kampfrelevante Druckpunkte bzw. Schlagziele werden immer weniger gelehrt. Gerne werden Druckpunke aka Dim Mak Punkte als Esoterik und unseriöser Unfug geächtet. Wer nicht wirklich über diese Punkte Bescheid weiß, läßt das Thema fallen, wie eine heiße Kartoffel, weil der Lehrer Angst um seinen Ruf hat. Diese sogenannten Dim Mak Punkte haben nach meiner Meinung eher medizinische Wirkung und fußen auf der Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Als Kinesiologe, ChiKung Lehrer und Reikimeister haben ich klar erfahren, dass man über Meridianpunkte einen Partner beeinflussen kann. Natürlich macht auch hier die Dosis wieder das Gift: Ob ich einen bestimmten Punkt nur leicht massiere und damit die Selbstheilungskräfte anrege ober meine Faust dort hineinramme, macht sicherlich einen Unterschied! Nach einer ausführlichen Unterhaltung mit einem Physiotherapeuten, wurde mir sehr klar, dass es viele kampfrelevante Punkte (Stichworte: Triggerpunkte oder Nervenknotenpunkte) am Körper gibt, mit denen man erheblichen Schaden anrichten kann, wenn man es will. Die Karate Katas wurden also heimlich entschärft. Bestimmtes Wissen soll verschwinden.


Mixed Martial Arts (MMA) ist die erfolgreichste der gemischten Kampfstile.
Mixed Martial Arts (MMA) ist die erfolgreichste der gemischten Kampfstile.

Das deutsche Ju Jutsu, das 1969 als Reformation der Jiu Jitsu Stile, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen waren, hatte einen interessanten Ansatz: Alle Techniken des alten Jiu Jitsu wurden in den bekannten Budosportarten Judo, Karate und Aikido weiterentwickelt. Jetzt nimmt sich Ju Jutsu das Beste aus diesen Disziplinen und vereint sie wieder zu einem modernen System. Ju Jutsu wurde Pflicht in der deutschen Polizeiausbildung. Ju Jutsu glitt in den Achzigerjahren immer mehr in den Kampfsport ab, was nach außen als sehr positiv für die Selbstverteidigungsfähigkeit verkauft wurde. Seit (glaube ich) den Neunzigerjahren wird auch mehr auf Waffenausbildung Wert gelegt.

 

Ju Jutsu ist für mich eher ein positives Beispiel der in den Achtizgerjahren folgenden Versuche bzw. des Trends, gemischte Kampfsportarten wie Kenjukate, etc. zu etablieren. Wie wir wissen, hatte letztendlich das MMA die Nase vorne im Kampfsport und wird auch gerne in Securitykreisen trainiert. Für die Selbstverteidigung hat sich bis heute das Mischsystem Krav Maga in einer zivilen und miilitärschen Variante wohl am besten durchgesetzt. Bei diesen ganz Mischsystemen muss man aufpassen, dass die ursprünglichen Prinzipien, auf denen die Techniken beruhten, vom Erfinder verstanden wurden, damit sie auch korrekt weitergegeben werden können. Wenn ich aus System A, System B und System C, die vielleicht auf komplett verschiedenen Philosophien und Prinzipien beruhen, verschiedene Techniken einfach so entnehme und sie in ein eigenes System integriere, ohne mir dessen bewusst zu sein, ist die Gefahr sehr groß, dass ich hier mehr vernichte als neu schaffe. Mein neues System scheint dann nur von außen neu, ist von innen aber unstimmig, was für eine Anwendung im Ernstfall im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein könnte. Das andere Extrem siehst Du in den alten, chinesschen Stilen, die sich damit brüsten, seit 1700-Streusselkuchen authentisch - also unverändert - so unterrichtet zu werden. Je authentischer der Lehrer gelernt hat, je attraktver ist er. Ein intelligenter Großmeister eines Systems weiß, dass er oder sie das System an die Anforderungen seiner Zeit regelmäßig anpassen und es hinterfragen muss. Die unabdingbare Voraussetzung hierfür ist, dass der Großmeister das System komplett erlernt und auch komplett verstanden hat. Ich denke, dass es viele Unsicherheiten bei einigen alten Stilen gibt und man deshalb so authentisch wie möglich unterrichten will und nicht nur aus Respekt für seinen verstorbenen Meister. Angst vor der Weiterentwicklung und Unwissen des eigenen Systems schafft auch eine Form von Kontrolle / Zurückhaltung gegenüber des eigenen Systems.

Der Vollkontaktkampf ist und bleibt der Prüfstein für realistisches Kämpfen.
Der Vollkontaktkampf ist und bleibt der Prüfstein für realistisches Kämpfen.

Wie sieht es denn heute mit der Selbstverteidnugsfähigkeit aka Kampffähgkeit vieler Leute aus? Ganz früher war das mal eine wichtige Kernkompetenz zur Überlebensfähigkeit im Alltag. Selbstverteidigungskurse sind sehr beliebt. Die Nachrichten sind voll Schreckensmeldungen. Da sollte doch jeder besser fit sein, oder? Da gibt es einen Personenkreis, der sehr robust aufgewachsen ist und körperliche Auseinandersetzungen von Kindesbeinen an auf der Tagesordnung standen. Wenn solche Leute in den Kampfsport oder die SV einsteigen hörte ich schon oft folgenden Satz: "Kloppen konnte ich mich schon immer gut, aber mit System XY kann ich es noch besser." Doch solche Menschen sind klar (und oft Gott sei Dank) in unserer Gesellschaft unterrepräsentiert. Dann gibt es die (normalen) Leute, die Kampfkunst oder erlernen wollen. Wir Insideer wissen, dass die meisten davon nach 1-2 Jahren wieder aufgeben, aber gewisse Grundkompetenzen erlernt haben. Für alle, die durchhalten, kann man - je nach Realitätsbezogenheit des erlernten Systems - eine vernünftige bis sehr gute Kampffähigkeit vermuten. Grundsätzlich sage ich: Jeder, der ein Vollkontaktsystem trainiert, ist ein gefährlicher Gegner. Die sogenannten normalen Leute, der Durschnittsbürger, möchte friedlich leben und mit Gewalt nichts zu tun haben. In unserer Erziehung und in der Gesellschaft wird Gewalt offiziell und oberflächlich abgelehnt...aber das ist ein anderes Thema!

Aikido ist humanstische Budo-Philisophie in Bewegung.
Aikido ist humanstische Budo-Philisophie in Bewegung.

Oft habe ich es erlebt, dass viele Menschen sich in einer gefährlichen Situation sich gar nicht vorstellen können, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen. Das liegt nicht nur an einem Unwissen von Kampftechniken, sondern ist ganz klar ein erzieherisches Phänomen. "Ich könnte niemanden etwas zu leide tun!" Offiziell wurde dem Durschschnittsmenschen spätestens nach Ende des 2. Weltkrieges systematisch aberzogen - sogar wenn sie gerechtfertigt wäre! Schon häufiger habe ich ich Sprüche gehört wie "Wehr Dich bloß nicht, wenn Du angegriffen wirst! Wenn Du Glück hast, ist es schnell vorbei. Wenn Du Dich wehrst, schlagen sie Dich erst richtig zusammen."

 

Auch die Justiz verbreitet sehr viel Unsicherheit und urteilte leider schon oft gegen den Verteidiger. Was ich grundsätzlich sehr traurig finde, ist, dass sich ein Verteidiger, der sich beherzt wehrt - was bei einem ernsthaften Angriff nötig ist und statistisch bewiesen wurde - dafür noch rechtlich belangt wird und der Täter zum Opfer wird. Ich denke, solche Urteile entstehen vor allem aus persönlicher, praktischer Unkenntnis der Richter solcher Situationen und sehr theoretischen Gesetzestexten. "Wenn der Angriff abgewehrt ist, sind de Verteidigungshandlungen zu stoppen." Dem entgegne ich: "Die Verteidigungshandlungen sind erst dann zu stoppen, wenn der Gegner unter Kontrolle gebracht oder kampfunfähig ist.". Am Ende steht in einer wirklich ernsten Situation nur die Auswahl, einen möglich Notwehrexzess in Kauf zu nehmen oder sich rechtlich konform zu verhalten und zu riskieren, dass der Angreifer sich nach der ersten Abwehr wieder erholt und dann den Verteidiger schwer verletzt oder gar tötet.

 

Als besonders extremes Beispiel erinnere ich mich an einen Fall eines damaligen (späte Achzgerjahre) Trainingskollegen, der von 10 teilweise bewaffneten Angreifern gleichzeitig angegriffen wurde und dabei den Baseballschläger eines Angreifers zur Selbstverteidigung verwendete. Dafür wurde er wegen Überschreitung des Notwehrrechts verurteilt. Der Trainingskollege verbrachte einige Tage wegen den erlittenen Verletzungen durch seine Angreifer im Krankenhaus.

 

Mittlerweile ist die Justiz so einsichtig geworden, Angriffe von mehreren Gegnern als potentiell lebensbedrohlich zu werten, aber viele Unsicherheiten bleiben...

 

Es ist und bleibt einzig allein Deine Entscheidung, die Dir niemand abnehmen kann. Du weißt nie wirklich, wie gefährlich Dein Gegner ist, der da vor Dir steht! Ich spreche aus praktischer Erfahrung.

 

Wer heute wieder allumfassende Kampffähigkeit ersthaft erlernen möchte, sollte ein System wählen, dass überwiegend nicht versportlicht wurde, waffenloses Kämpfen und den Gebrauch von zeitgemäßen Waffen realitätsnah unterrichtet und auch optimalerweise die energetischen und physischen Prinzipien kennt. Früher waren Kampfkünstler auch Heiler. Vor allem brauchen wir in der modernen Kampfkunst eine menschliche Philosophie und ein hohes Verantwortungsbewusstsein für uns selbst und für andere.

Martial Arts Master: "Why you come to me" 

Student: "Ah, to learn how to fight."

Master: "Oh, so you wanna hurt people, but you wanna be great."

Student: "Yeah, I wanna be great."

Master: "Then first learn how to heal people to be great, to hurt people is easy."

 

Dialog aus dem Film 'Hard to kill' mit Steven Seagal

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