In unserer Gesellschaft gelten Menschen, die sich gefühlstechnisch nicht unter Kontrolle haben als schwach. Darum gilt man als stark, wenn man sich möglichst cool und unbeeindruckt geben kann - egal was passiert. Diese meist gespielte Coolness verlangt früher oder später von Dir einen Preis, weil Du Gefühle verdrängst und leugnest, die für Dich wichtig sind und die gesehen werden wollen. Hörst Du nicht auf Deine Gefühle, wird Dein Körper und Dein Geist irgendwann sicher dafür sorgen, dass Du ihnen zuhörst und deren Bedürfnisse wahrnimmst. Es geht schließlich um Dich, Dein gesundes Ich, das weiß, dass Deine Gefühle richtig und wichtig sind und das Recht haben, von Dir gehört zu werden. Ansonsten werden irgendwann schlimme Dinge geschehen, die für Dich und Deine Umwelt sehr folgenschwer sein können. Und wir INFJ und auch HSP-Persönlichkeiten sind da ganz besonders betroffen, weil wir eben so viel im Innen und Außen fühlen können und das auch irgendwie verarbeiten müssen.

Ich vergleiche diese Situation gerne mit einem geschlossenen Dampfkessel, in dem Wasser erhitzt wird. Wenn das Wasser bzw. der heiße Wasserdampf nicht entweichen kann, dann fliegt der Kessel in die Luft, wird dabei zerstört und richtet zusätzlich weiteren Schaden in seinem Umfeld an. Ich denke hier an wirklich extreme Situationen!

Gerade viele extrovertierte Menschen, die dazu in einer hierarchisch höheren Stellung in unserer Gesellschaft stehen, haben meiste keine Probleme, emotionalen Druck nach außen abzulassen, ihre Gefühle klar auszudrücken (so lange sie Stärke und keine Schwäche signalisieren) oder sich einfach zu nehmen, was sie wollen. Das ist bei uns INFJ oft anders, ja oft genau umgekehrt.

Bei den dominanten Menschen funktioniert das Überdruckventil gut; oft zu gut. Dabei kommt es eher zu Schäden von Menschen in deren Umfeld, was einen Machtmenschen allgemein nicht stört, und wenig Schaden bei sich selbst. Zumindest nicht durch aufgestaute Gefühle, die nicht freigesetzt oder ausgelebt werden.  

Als INFJ ist es Deine Aufgabe, Dein eigenes, funktionelles Überdruckventil für Deinen Dampfkessel zu installieren, damit Du bei Bedarf auf verschiedene Weise Dampf ablassen kannst. Und das bitte auf angemessene und gesunde Weise, wobei Du Deine eigenen Grenzen und die Grenzen Deiner Mitmenschen respektierst. So etwas ist lernbar!

Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, "Du bist nicht Deine Gefühle." Darum ist es ratsam, sich Deiner Gefühle möglichst bewusst zu sein, sie gut zu beobachten, sie auch zu nutzen, aber Dich nicht von ihnen beherrschen zu lassen. Meditation ist ein gutes Medium, um auf diesem Feld zu arbeiten und Fortschritte zu erzielen. Auch die in einem älteren Artikel beschriebene Technik des "Mental Bong Sao" kann hier sehr hilfreich sein, Abstand zu Begegnungen im Alltag zu gewinnen und nicht alles zu persönlich zu nehmen.

In einem emotional aufgewühltem Zustand solltest Du keine Entscheidungen treffen, sondern später in Ruhe alles analysieren und daraufhin eine praktikable und zukunftsorientierte Entscheidung fällen.

Nicht alle Gefühle in Dir aufstauen lassen und sie verbergen, bis der Kessel explodiert. Lerne kontrolliert Dampf (verbal und körperlich) abzulassen und Deine Gefühle nach außen zu kommunizieren. Das gilt für positive und negative Gefühle.

Bei den negativen Gefühlen möchte ich auf jeden Fall unbedingt die Wut ansprechen. Viele introvertierte Menschen haben ein Problem damit, ihre (berechtigte) Wut offen zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist das richtig und wichtig, das zu tun. Wenn Deine Grenzen massiv verletzt werden oder Du respektlos behandelt wirst, hast Du das Recht, diese Person deutlich in ihre Schranken zu weisen. Die bei vielen Introvertierten aufkommenden Schuldgefühle, Scham oder Selbsthass sind hier absolut fehl am Platz und müssen notfalls therapiert werden, wenn hier durch Selbsterkenntnis und eine konsequente Verhaltensänderung keine deutliche Besserung eintritt.

Gerade bei den negativen Gefühlen ist es wichtig, sachlich zu bleiben und sich keine Blößen nach außen zu geben, die Dich noch besser angreifbar machen. Dich wirklich öffnen kannst Du Dich unter Deinesgleichen und engen Freunden. Ansonsten bitte dosiert, aber unmissverständlich kommunizieren. Optimalerweise sollte das Umfeld, in der Du Deine Nachricht überbringst, zur Botschaft und zum Empfänger passen. Falls es angemessen und möglich ist, kannst Du den Vorfall erst überschlafen und dann in einem 4-Augen-Gespräch Deine Botschaft übermitteln.

Bei positiven Gefühlen ist es bei eher noch unbekannten Mitmenschen ebenfalls ratsam, sie dosiert und trotzdem klar an die Botschaft heranzuführen, die Du übermitteln willst. Wir kennen ja alle die berühmt-berüchtigte Direktheit der INFJs. Hast Du Dich beispielsweise in Dein Gegenüber verliebt und Dein Gegenüber ist ebenfalls sehr sensibel oder etwas scheu, könntest Du mit Deinem zu direkten Liebesgeständnis im schlimmsten Falls mehr zerstören als zu erfreuen. Nutze Deine Empathie hier bewusst. Dann bist Du auf einem guten Weg!

Ebenfalls haben viele Introvertierte Probleme, Kontakte zu anderen Menschen zu knüpfen. Dabei ist es eben sehr wichtig, dass INFJ, HSP & Co. untereinander Gleichgesinnte oder positiv ergänzende Gegenpole ihrer introvertierten Persönlichkeit finden und sich verbinden. Schüchternheit ist hier kontraproduktiv. Ihr solltet Euch wirklich mehr einen Schritt aus der Deckung wagen, wenn Du vor einer offenbar introvertierten Persönlichkeit steht und es langsam angehen lassen, falls es nicht sofort zündet. Ihr sitzt alle im selben Boot.

Wie auch in vielen anderen Situationen im Leben ist es für Dich als INFJ sehr wichtig, dass Du aus Deiner Welt im Kopf in die Welt des Handelns kommst und Dich nach außen Deinen Mitmenschen klar mitteilst.

1. Sende Ich-Botschaften, wie Du Dich gerade fühlst möglichst zeitnah zum Vorfall
2. Stelle Du-Fragen, wie Dein Gegenüber etwas empfindet oder sieht möglichst schon während der Interaktion
3. Äußere Deine Emotionen in einem passenden Rahmen in angemessener Form an einem angemessenen Ort
4. Kündige Konsequenzen an oder reagiere situativ sofort, wenn es nötig ist. Ganz wichtig: Ziehe es durch!
5. Ziehe Dich bei Bedarf in einen geschützten Raum zurück, um das Geschehene zu verarbeiten und Dein Handeln für die Zukunft anzupassen
6. Solltest Du bemerken, dass sich doch über längere Zeit Emotionen bei Dir festsetzen, die Du alleine nicht bewältigen kannst, suche Dir rasch medizinische Hilfe

In negativen Situationen solltest Du dieses Umfeld als Konsequenz verlassen oder zumindest so gut es geht einschränken, falls Du momentan dort nicht rauskommst oder Du dort noch etwas für Dich lernen kannst.

In positiven Situationen weißt Du jetzt, dass Du diesen Menschen, Tätigkeiten, Orten, etc. mehr Aufmerksamkeit schenken darfst, weil es Dir gut tut und dafür störende und negative Dinge im Austausch jetzt gehen lassen kannst.